Skip to main content

Foto: Bodara

Strassenverkäufer*innen
«Die Schweiz ist Heimat geworden»

Teklit Tekeste, 40, verkauft Surprise am Klusplatz, bei der Migros Brunau und am Markt beim Helvetiaplatz in Zürich. Er ist leidenschaftlicher Orgelspieler.

«Kaufen, kaufen, nicht vorbeilaufen! Mit solchen Reimen bringe ich meine Kund*innen zum Schmunzeln. Wenn ich auf dem Markt am Helvetiaplatz Surprise-Hefte verkaufe, rufe ich auch manchmal: Bio-Surprise, Bio-Surprise! Auch dann lachen die meisten Leute um mich herum. Es macht mir Freude, mein Umfeld zu unterhalten. Viele Leute haben auch Freude an meinen bunten, traditionell eritreischen Gewändern. Bei meiner Kundschaft bin ich daher bekannt als ‹Teklit mit den lustigen Verkaufssprüchen und den farbigen Kleidern›.

Allerdings bin ich nicht immer zum Spassen aufgelegt. Manchmal schmerzt mein Knie so fest, dass ich ganz still werde. An solchen Tagen schätze ich meine Stammkund*innen. Sie erkundigen sich nach meinem Befinden, muntern mich auf und kaufen Surprise auch ohne Witze und Reime. Seit meinem Unfall – ich wurde in Eritrea von einem Auto angefahren – kann ich mein rechtes Knie nicht mehr richtig beugen. Es wurde schon neun Mal operiert, sieben Mal in Eritrea und zwei Mal in der Schweiz; doch bisher ohne grosse Besserung. Wahrscheinlich werde ich mein Leben lang mit den Schmerzen klarkommen müssen.

Ich bin froh, dass ich trotz meinen Knieproblemen einer beruflichen Tätigkeit nachgehen kann. In Eritrea lebten wir von unserem Garten, und wenn ich gerade keine Schmerzen hatte, half ich meiner Schwester in ihrem Restaurant aus. Davon konnte ich gut leben, und meine kurzen Arbeitseinsätze im Restaurant wurden von der Familie sehr geschätzt. In der Schweiz jedoch bist du mit einer körperlichen Beeinträchtigung zu langsam für den Arbeitsmarkt. In meinen ersten Jahren in der Schweiz habe ich versucht, in Restaurants oder in der Reinigung zu arbeiten. Irgendwann wurden die Schmerzen jedoch so stark, dass ich für diese Jobs nicht mehr genügend ‹belastbar› war. So suchte ich nach einer Arbeit, die ich trotz Schmerzen ausüben kann. Zum Glück erzählte mir ein Freund von Surprise.

Nun bin ich schon neun Jahre für Surprise tätig. Beim Hefteverkauf kann ich flexibel arbeiten, und wenn ich einen plötzlichen Schmerzanfall habe, zeigen meine Kund*innen grosses Verständnis. Ich mag das Verkaufen sehr, doch leider verdiene ich nicht immer genügend Geld, um die Lebensunterhaltskosten für mich und meine Familie zu decken. Neben meinen Schmerzen belastet mich das fast am meisten. Zudem stellt die fehlende finanzielle Unabhängigkeit ein grosses Hindernis für meine Einbürgerung dar. Ich lebe und arbeite seit vierzehn Jahren in der Schweiz, meine drei Kinder sind hier geboren. Die Schweiz ist zu unserer Heimat geworden. Ich würde mich gerne einbürgern lassen und hoffe, dass mein Arbeits- und Integrationswille von den Behörden trotz fehlender finanzieller Unabhängigkeit anerkannt wird.

Lange beschäftigte mich auch unsere Wohnsituation. Wir lebten in einem sehr alten Haus in Wollishofen. Die Wände waren schimmlig, aber wenigstens hatten wir genügend Platz und konnten die Miete bezahlen. Ich habe immer wieder nach anderen Wohnmöglichkeiten in der Umgebung gesucht, aber nichts Bezahlbares gefunden. Als uns der Mietvertrag nicht mehr verlängert wurde, hatte ich Angst, dass wir keine neue Wohnung finden würden. Ich kannte ja die Situation auf dem Zürcher Wohnungsmarkt. Nun haben wir vor Kurzem aber doch noch eine passende Wohnung gefunden – Gott sei Dank!

Wenn solche Sorgen überhandnehmen, fahre ich mit meiner Familie in die Stadt und zeige ihnen die vielen schönen Orte in Zürich. Diese Ausflüge helfen mir, den Kopf freizubekommen. Und nicht selten laufen wir bei unseren Spaziergängen an einer Person vorbei, die mich als den ‹Mann mit den lustigen Verkaufssprüchen und den bunten Kleidern› erkennt. Solche Begegnungen muntern mich zusätzlich auf. Es kam schon vor, dass mir jemand im Witz nachrief: ‹Kaufen, kaufen, nicht vorbeilaufen!› Dann war ich es, der schmunzelte.»