Skip to main content

Bild: zvg

Kunst
Funksprüche und gefährlicher Funkenflug

Der Winterthurer Ausstellungsraum Coalmine zeigt, wie sich das dokumentarische Filmschaffen in der Ukraine seit dem Maidan-Aufstand 2014 intensiviert hat.

«Während den Maidan-Protesten 2014 schien für eine kurze Zeit alles möglich zu sein: Stabilität, Reformen und eine Annäherung an Europa», sagt Annette Amberg, Kuratorin des Winterthurer Ausstellungsraums Coalmine. «Aber dann kam im gleichen Jahr die Annexion der Krim durch Russland. Zahlreiche ukrainische Filmschaffende, von denen einige bereits den Maidan-Aufstand begleiteten, nutzen diese Erfahrung seither, um in experimenteller Form auf die Ereignisse zu reagieren.» Gemeinsam mit dem Filmemacher und Autor Oleksiy Radynski und dem Filmkurator Olexii Kuchanskyi zeigt Amberg in der Coalmine die Ausstellung «To Watch the War».

«Die Proteste», sagt Amberg, «waren für das ukrainische Filmschaffen ein Katalysator. Für die Künstler*innen ging es nun darum, sich in kurzer Zeit der eigenen Haltung gegenüber dem Zeitgeschehen, dem sie sich nicht entziehen konnten, bewusst zu werden. Ihre Werke sind daher geprägt von Dringlichkeit und einem starken Willen, sich in dieser instabilen Umgebung der Wahrheitsfindung zu widmen.»

Die 22 Videoarbeiten und Filme, sowohl bestehende Werke als auch Neuproduktionen, die als direkte Reaktionen auf den Angriffskrieg entstanden sind, veranschaulichen, wie sich das dokumentarische Filmschaffen in der Ukraine unter dem Einfluss der militärischen Bedrohung, aber auch durch das wachsende Bewusstsein für geopolitische Zusammenhänge und Umweltzerstörung intensiviert hat.

Ein eindrückliches Beispiel dafür ist der Film «Labor Safety in the Region of Dnipropetrovsk» von Daniil Revkovsky und Andriy Rachynsky aus dem Jahr 2018. Dafür trugen die beiden Künstler Handyfilme aus den sozialen Medien zusammen. Sie stammen von Arbeiter*innen aus Fabriken und Minen, die Missstände dokumentieren. So herrscht in einer Aufnahme neben einem Schmelzofen gefährlicher Funkenflug, während in einer anderen ein Güterwagon zur Seite gekippt ist. Gegen Ende filmt ein Arbeiter in einem Tagbau mehrere Explosionen – und dokumentiert damit auch die Umweltzerstörung durch diese Art der Rohstoffgewinnung. «Putin greift an», hört man jemanden halb im Scherz sagen. Ein kurzer Satz, der zeigt, wie stark die ständige Angst davor, dass sich die Kriegshandlungen im Donbas ausweiten könnten, das Leben der Menschen prägte.

«Labor Safety in the Region of Dnipropetrovsk» besteht, wie auch andere der gezeigten Werke, aus sogenanntem Found Footage, also aus Archivbildern oder Handyvideos, deren Bedeutung durch Techniken der Montage hervorgehoben oder verändert wird. «Zu jedem Film stelen wir einen Text zur Verfügung, damit der Bezugsrahmen der oft abstrahierten, rohen oder poetischen Inhalte gegeben ist», sagt Amberg.

Wie wichtig eine solche Einbettung ist, wird deutlich, wenn man sich etwa «Sky.Invasion» von Andriy Rachynsky und Daniil Revkovsky aus dem Jahr 2022 ansieht: Die beiden Filmemacher montierten Found Footage unter anderem von Kampfflugzeugen und vom Rauch, der über der Front aufsteigt. Gleichzeitig sind ununterbrochen Funksprüche aus einem Cockpit zu hören, die sich nicht klar zuordnen lassen. Man erinnert sich an Volodymyr Zelenskys Aufruf an die NATO zu Beginn des Krieges, «Close the Sky», über der Ukraine eine Flugverbotszone einzurichten.

«‹Sky.Invasion› erzeugt Konfusion», sagt Amberg. «Welche Haltung nehme ich als Betrachterin, als Aus«‹Sky.Invasion› erzeugt Konfusion», sagt Amberg. «Welche Haltung nehme ich als Betrachterin, als Aussenstehende ein? Wessen Stimmen sind zu hören? Es sind russische Funksprüche, die von der ukrainischen Seite abgefangen wurden und jetzt, im Zusammenschnitt mit dem Found Footage, eine Orientierungslosigkeit hervorrufen, wie es dieser Krieg in den Köpfen von uns allen tut.»